Das „oben herum“ zählt – verstehen, was die Profis machen.

Wer bei Youtube West Coast Swing Videos anschaut und das dann mit dem vergleicht was man in den Anfängerkursen lernt, der beginnt manchmal zu zweifeln ob er wirklich den gleichen Tanz lernt, wie das was er bei Youtube sieht.

Wenn man versucht zu verstehen, was Profi-WCS-Tänzer tanzen, dann machen viele den Fehler und schauen auf die Füße und versuchen zu erkennen welche Schritte getanzt werden.

Wenn man aber das Schema eines Tanzes auch bei Profis erkennen will, dann muss man auf die Hände, bzw. Arme schauen:

Start auf der 1

Das wirklich charakteristische, was man auch bei Profis meistens sehr gut erkennen kann, ist die Beschleunigung des Followers bei der 1, wenn die neue Figur startet.

Der Anchor

Wenn man weiß, wo die 1 war, dann weiß man auch, dass vorher eine Anchoraktion war. Bei den Profis ist das aber in den seltensten Fällen ein einfacher Triple-Step. Man kann diese Aktion aber immer daran erkennen, dass zumindest kurz eine stationäre Phase in der Verbindung von Leader und Follower stattfindet.

Dazwischen

Wenn man mal erkannt hat wo die Figuren beginnen und enden, dann wird man bemerken, dass dazwischen nicht 6 oder 8 Beats sind – obwohl alle Figuren im West Coast Swing doch eigentlich 6-count oder 8-count Figuren sind. Die Profis variieren die Grundfiguren, indem sie mehrere Figuren per Rock&Go miteinander verknüpfen oder durch stalking verlängern. Außerdem werden auch sehr häufig die Handhaltung gegenüber der Grundfigur variiert. Aber selbst wenn man das alles weiß und berücksichtigt, dann wird man sich erst 50% von dem erklären können, was dort getanzt wird. Der Rest, der dort getanzt wird ist aber meistens gar kein klassischer West Coast Swing, sondern es sind freie Elemente, die manchmal aus anderen Tänzen ausgeborgt wurden – heutzutage sehr häufig auch aus dem Contemporary – oder die einfach nach Lust und Laune, manchmal erst in dem Moment wo es getanzt wird erfunden werden. Das ist auch in Ordnung, so lange die grundsätzlichen Spielregeln des Tanzes eingehalten werden – insbesondere die Connection ist von essentieller Bedeutung – auch wenn sie in extremen Fällen nur noch visuell hergestellt wird (wenn sich beide Partner nicht mehr berühren, dann muss man schauen, was der andere macht.).

In diesem älteren (von der Bildqualität relativ schlechten) Video kann man sehr gut sehen, wie besonders John Lindo über weite Passagen nur steht und frei interpretiert. Bei modernem West Coast Swing ist das Schema zwar im Prinzip das gleiche, aber es ist schwerer zu erkennen.

Warum helfen mir die Füße beim Verständnis nicht?

Die Füße helfen nicht, da man an den Füßen nur sehr schwer sehen kann ob z.B. gerade eine Beschleunigung des Followers statt findet oder ein Anchoring.

Im Prinzip kann man auch keine feste Schrittfolge – selbst für Grundfiguren – vorgeben, da die konkreten Schritte immer aus dem Zusammenspiel Leader + Follower entstehen. Wenn der Follower z.B. bei einem Sugar-Push sehr zögerlich losläuft oder sehr schnell abbremst, dann muss der Leader evtl. nur 1 oder 2 Rückwärtsschritte machen, bevor er stationär tanzt, oder sogar wieder nach vorne läuft. Wenn der Follower aber mit sehr viel Schwung und Elan losläuft, dann kann es sein, dass er die ersten 4 Schritte nach hinten läuft, und im 5. Schritt stationär bleibt. Die Schrittfolgen, die man als Anfänger unterrichtet bekommt sind Empfehlungen, die man auch so tanzen kann, aber sie sind nicht die einzig richtigen Möglichkeiten einen Sugar-Push oder einen Right-Side-Pass zu tanzen. Gute Tänzer zeichnet es aus, dass sie schnell auf ihren Partner eingehen können und ihre Schritte so anpassen, dass immer eine gute Connection erhalten bleibt.

Außerdem lassen die Profis auch zwischendurch mal einen Schritt weg oder fügen einen ein – einfach weil es dann besser in die Musik passt, oder weil sie mit dem falschen Fuß gestartet sind und sie zwischendurch wieder aufs klassische Schema wechseln wollen.

Außerdem tanzen bei den YouTube Videos die Tänzer meist nicht in einem festen Slot, sondern variieren auch den Drehgrad der Figuren, bzw. knicken Figuren ab, um die Tanzfläche ganz auszunutzen. Wer hier in festen Folgen für Sugar-Push oder Underarm Turn denkt, für den wird sich nie erschließen was dort auf der Tanzfläche stattfindet.

Wenn ich jetzt kapiere, was die machen, kann ich das dann einfach nachtanzen?

In den meisten Fällen wird das nicht klappen. Selbst Figuren, die auf den ersten Blick simpel erscheinen haben es oft in sich. Es ist manchmal kaum zu erkennen wie die Signale des Leaders an den Follower sind. Es ist schon schwer genug, wenn man bei Youtube eine Zusammenfassung eines Workshops findet, sich anhand der Zusammenfassung eine Figur anzueignen. Eine getanzte Figur nachzutanzen ist noch mal deutlich schwieriger. Man sollte daher eher versuchen Ideen für Stylings oder gelungene Kombinationen aus Grundfiguren abzuschauen als komplizierte Figuren. Auch in Bezug auf Musikalität kann man sich viele Anregungen holen: Wie vertanzen die Profis bestimmte Musikstile? Wie ein Break, wie schnelle oder langsame Passagen? Je mehr Ideen man mal gesehen hat, um so höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass man im richtigen Moment auf der Tanzfläche eine passende Möglichkeit findet.

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